Unsere Forschungsprojekte widmen sich der Untersuchung einzelner Sammlungskomplexe. Am Institut für Kunstgeschichte führen wir Seminare zur Forschungspraxis durch und betreuen Masterarbeiten und Promotionsprojekte. Auch unsere Ausstellungen präsentieren Forschungsergebnisse. Eine wichtige Aufgabe der nächsten Jahre wird die Erstellung von Bestandskatalogen zu unserer Sammlung sein.
Forschungsprojekte
Die barocke Professorengalerie zählt zu den unbekannten Schätzen der Kunstsammlung der Universität. Sie war lange Zeit praktisch unbekannt und ist weitgehend unpubliziert. Angelegt wurde sie ab 1600 für die 1543 begründete Universitätsbibliothek im Mittelpaulinum (ursprünglich im Bereich des heutigen Auditorium maximum gelegen). Der Bau war ab 1510 – mit finanzieller Unterstützung der philosophischen Fakultät der Universität – als Bibliothek des Dominikanerklosters errichtet worden und ging 1543 an die Universität über. Zusätzlich zu älteren Porträtbeständen entstand eine einheitliche Bildnisgalerie damaliger Professoren. Insbesondere der Aufruf des Bibliotheksdirektors Joachim Feller (1638 – 1691) von 1679 bewirkte ein starkes Wachstum der Bestände.
Nach Abriss des Mittelpaulinums 1894 wurden einzelne Gemälde in der neuerrichteten Bibliotheca Albertina gezeigt. Nach Magazinierung im Zweiten Weltkrieg stellte man ausgewählte Werke wieder aus; vieles jedoch verblieb im Depot.
Die Erforschung des Galeriezusammenhangs und die Untersuchung einzelner Gemälde begann 2011 im Rahmen eines kunstgeschichtlichen Seminars im Modul Forschungspraxis. Weitere Lehrveranstaltungen im Fach Kunstgeschichte folgten. Sie lieferten zahlreiche spannende Ergebnisse. Parallel dazu setzten die Restauratorinnen der Kustodie die Restaurierung der Bilder ins Werk und führten gleichzeitig Studien zur Technologie der Malerei durch.
Seit 2016 werden ausgewählte Stücke auf dem innerstädtischen Campus am Augustusplatz präsentiert. (Link Kunst auf dem Campus)
Eine Ausstellung stellte im Wintersemester 2018/19 erste Forschungsergebnisse vor. Sie thematisierte Entstehungsgeschichte, Anbringungsort, materielle Beschaffenheit der Bilder, Zuschreibungsfragen, Vereinheitlichungskampagnen sowie die Selbstdarstellung in anderen Medien wie Matrikelblättern, Kupferstichen oder Epitaphien. Dadurch erhielten nun auch Persönlichkeiten ein Gesicht, die mit Epitaphien im Paulinum vertreten sind. Die Ausstellung eröffnete erstmals seit 120 Jahren die Möglichkeit, einen größeren Teil der erhaltenen Bildnisse im selben Raum vergleichend zu betrachten. Dies eröffnete ganz neue Perspektiven, etwa in Zuschreibungsfragen.
Zur Entstehung der Galerie gibt es keine Schriftquellen. Wesentliche Erkenntnisse beruhen auf den Bildern selbst. Die Hängung im Mittelpaulinum ist ebenfalls schlecht dokumentiert. Die Inschriftensammlung Salomon Stepners von 1675 gibt Hinweise auf die Anfänge der Galerie. Kurz darauf, im Jahre 1676 rief der Bibliotheksdirektor Joachim Feller die Professorenschaft zur Stiftung ihrer Bildnisse auf und bewirkte so ein beschleunigtes Wachstum der Porträtgalerie. Über die Hängung der Gemälde im späten 18. Jahrhundert gibt eine Beschreibung von Johann Heinrich Jugler Aufschluss, der hölzerne Einbauten in Form von „Kabinetten“ schildert. Für die Aufstockung des Bibliotheksgebäudes um ein zweites Obergeschoss um 1845 wurden Bibliothek und Bildnisgalerie ausgeräumt und anschließend neu eingerichtet. Auch hierzu gibt es kaum Quellen.
Vor dem Abriss des Gebäudes ab 1892 dokumentieren einige Fotos die beiden spätgotisch eingewölbten Räume in weitgehend ausgeräumtem Zustand ohne Bücher und Bilder. Zu den anderen Räumen gibt es nicht einmal dies. Der Großteil der Galerie zog mit den Büchern in die neu errichtete Bibliotheca Albertina um. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfasste Annegrete Janda-Bux den Kunstbesitz der Universität unter besonderer Berücksichtigung der Gelehrtenbildnisse. Das Verzeichnis war nach Aufbewahrungsorten gegliedert. Demnach hatten große Teile der Galerie den Krieg überstanden und wurden weiter in der Universitätsbibliothek ausgestellt. Ausgewählte Bildnisse befanden sich, vermischt mit anderen Beständen, im Rektorat. Später fanden einige Bilder der Galerie ihren Weg in die Kustodie, größere Teile waren in der Bibliotheca Albertina magaziniert. Im Jahre 2010 wurden diese Bestände in die Kustodie überführt.
Seit Anfang 2020 begibt sich Sibylle Wulff, Restauratorin der Sammlung, innerhalb eines Dissertationsprojektes auf Spurensuche: Durch die Kombination von technologischen Befunden mit archivalischen Quellen (aus dem Stadtarchiv Leipzig, Universitätsarchiv Leipzig, Landeskirchenarchiv Dresden) konkretisieren sich Zuschreibungen und Datierungen der Porträts aus dem 17. Jahrhundert. Wertvolle Hinweise ergeben sich auch aus neuen Erkenntnissen zu den Biografien der einzelnen Maler der Porträts der Professorengalerie, historische Rechnungsbücher bieten Informationen über die Bezugsquellen von Malmaterial und zum Einkommen der Maler im 17. Jahrhundert. Darüber hinaus werden die Geschichte und die Verortung der Galerie im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert anhand der vorhandenen Schadensbilder im Abgleich zu bisher unbeachteten archivalischen Quellen nachvollzogen. Die interdisziplinäre Forschungsarbeit wird ermöglicht durch ein Landesgraduiertenstipendium des Freistaates Sachsen.
Parallel zur Restaurierung und Anbringung der Epitaphien im Paulinum fand die kunsthistorische Erforschung des Sammlungsbereiches statt. Eine Grundlage bildet die Übersetzung der erhaltenen Inschriften durch Rainer Kößling und die Erarbeitung von Biographien durch Doreen Zerbe in der Publikation "Ade Welt, ich bin nun daraus: memoriale Inschriften auf Grabsteinen und Epitaphien der Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig" (Leipzig 2011). Mit der kunsthistorischen Erforschung einzelner Epitaphien wurde bereits im Rahmen von Magister- und Masterarbeiten am Institut für Kunstgeschichte unter wissenschaftlicher Betreuung von Rudolf Hiller von Gaertringen und Frank Zöllner begonnen. Das Epitaph Heinrich Heideck bearbeitete Moritz Lampe, dessen Magisterarbeit als Publikation erschienen ist: "Zwischen Endzeiterwartung und Repräsentation – Das Epitaph des Heinrich Heideck 1570", Leipzig 2009. In seiner Arbeit konnte Moritz Lampe durch den spektakulären Fund einer Entwurfszeichnung nachweisen, dass das Epitaph einem der bedeutendsten mitteldeutschen Bildschnitzer seiner Zeit, Valentin Silbermann, zuzuschreiben ist. Weitere Masterarbeiten lieferten erste Forschungsergebnisse zu den Epitaphien für Christian Lange und Wilhelm von Ryssel. Der Sammlungsbereich "Epitaphien der Universitätskirche St. Pauli" bietet noch vielfältige Möglichkeiten für die kunsthistorische Forschung. Auch weitere Themen für Bachelor- oder Masterarbeiten können vergeben werden.
Zeichnerische Dokumente einer Weltumseglung
Der Nachlass des Naturforschers, Arztes und Zeichners Wilhelm Gottlieb Tilesius von Tilenau (1769–1857)
In unserem Bestand befindet sich das wissenschaftsgeschichtlich und kunsthistorisch hoch bedeutende Konvolut an Zeichnungen des Naturforschers, Arztes und Zeichners Wilhelm Gottlieb Tilesius von Tilenau (1769–1857). Annähernd zeitgleich mit Alexander von Humboldts Amerikareise (1799–1804) umsegelte Tilisius die Welt und zeichnete und dokumentierte im Dienst der Forschung. Größtenteils entstanden Tilesius‘ Werke 1803–1807 während der ersten russischen Weltumsegelung unter Adam Johann von Krusenstern. In seiner Doppelbegabung als Naturwissenschaftler und akademisch geschulter Zeichner hielt Tilesius auf der Reise zoologische, botanische, anthropologische und topographische Beobachtungen fest. Farbenprächtige und wissenschaftlich exakte Darstellungen von Vögeln, Fischen und Pflanzen finden sich hier ebenso wie die topographisch korrekte Erfassung von Landschaften, kulturtypischen Bauten und Ereignissen.
Viele der zwischen Wissenschaft und Kunst verorteten Blätter tragen umfangreiche handschriftliche Anmerkungen. Etwas mehr als 50 der Blätter wurden von Tilesius druckgraphisch übertragen und in dem von Krusenstern herausgegebenen Atlas zur Reise um die Welt (1814) publiziert. Weitere Entdeckungen veröffentlichte Tilesius später in Aufsätzen. Erst nach der Reise entstanden rund 25 Zeichnungen zum Skelett von Mammut und Elefant. Sie stehen im Kontext der Rekonstruktion des ältesten, 1799 von europäischen Wissenschaftlern in Sibirien entdeckten kompletten Skeletts eines Wollhaarmammuts, die Tilesius in Sankt Petersburg realisierte.
Bestand
Der Gesamtbestand des an der Universität Leipzig aufbewahrten zeichnerischen Nachlasses von Wilhelm Gottlieb Tilesius von Tilenau umfasst insgesamt 236 Tusche-, Aquarell-und Gouachezeichnungen. Die Blätter sind zwischen 8,5 x 14 cm und 44 x 68 cm groß und auf verschiedenen europäischen Papieren des frühen 19. Jahrhunderts ausgeführt. Beinahe alle tragen sowohl vorder- als auch rückseitig zum Teil ausführliche handschriftliche Anmerkungen. Der Bestand an Zeichnungen befindet sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts an der Universität Leipzig.
Restaurierungsprojekt
Eine nicht archivgerechte Lagerung hat zum Teil gravierende und dauerhafte Schäden verursacht. Hinzu kommen Tintenfraß, Lichtschäden und Verschmutzungen sowie mechanische Schäden wie Risse, Fehlstellen und Ausbrüche durch Benutzung. Nach einer umfassenden Schadensanalyse für den Gesamtbestand und der Erarbeitung einer Restaurierungskonzeption wird das Konvolut nach und nach restauratorisch und bestandserhaltend bearbeitet.
Durch eine Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung (Corona-Förderung für Freiberuflicher in Museen und Sammlungen) konnte 2021 mit der Rettung der am schwersten geschädigten Objekte begonnen werden. 28 Zeichnungen werden durch die Dipl.-Rest. Bettina Kosel, Restauratorin für Grafik-, Archiv- und Bibliotheksgut, bearbeitet.
Ausstellungs- und Publikationsprojekte
Die Erforschung des Tilesius-Nachlasses wird von der Kustodie seit den 90er Jahren kontinuierlich vorangetrieben. Ende 1998 erfolgte eine erste öffentliche Präsentation eines Teils der Bestände im Rahmen der Ausstellung „Wilhelm Gottlieb Tilesius von Tilenau (1769–1857). Bilder einer Weltreise" (zum Ausstellungsarchiv). Der zeichnerische Nachlass des Naturwissenschaftlers und Zeichners Tilesius war und ist Gegenstand des Interesses internationaler Forscher verschiedenster Disziplinen, u.a. aus Zoologie, Botanik, Kulturanthropologie und Wissenschaftsgeschichte. An der Kustodie sind ein Katalog als auch eine umfangreiche Ausstellung zu Tilesius‘ Zeichnungen in Vorbereitung, die an mindestens einem weiteren internationalen Ausstellungsort gezeigt werden soll.
Philipp Erasmus Reich war einer der bedeutendsten Verleger und Buchhändler in Leipzig. Durch seine publizistischen Tätigkeiten hatte er intensiven Kontakt zu vielen namhaften Autoren und pflegte einen großen Freundes- und Bekanntenkreis.
1756 machte Reich auf seinem Weg nach England Halt in Halberstadt und übernachtete bei Johann Wilhelm Ludwig Gleim, der seit den späten 1740er Jahren Porträts seiner Freunde zu einem Freundschaftstempel zusammentrug. Inspiriert davon begann er ab 1769 ebenfalls damit, solche Porträts in Auftrag zu geben. Dabei gingen die meisten Aufträge an den berühmten sächsischen Porträtmaler Anton Graff (1736–1813), der zu den besten Malern der Zeit zählte. Seine Tätigkeit übte er im Spannungsfeld zwischen dem Dresdner Hof und dem Leipziger Bürgertum aus. Graff schuf für die Sammlung des Verlegers über 30 Gemälde, alle im gleichen Stil und Format. Andere Gemälde stammten von ebenfalls berühmten Künstlern der Zeit wie Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Heinrich Pfenniger oder Johann Georg Ziesenis. Es entstand eine Sammlung mit Bildnissen einiger der größten Denker ihrer Zeit: Philosophen, Theologen, Dichter, Musiker.
Wie viele Gemälde insgesamt entstanden und auf welche Art sie im Hause des Verlegers präsentiert wurden, kann heute nicht mehr gesagt werden. 1809 überreichte die Witwe Reich einen Großteil der Sammlung als Geschenk zum 400. Jubiläum an die Universität, weil sie wollte, dass die Freunde ihres Mannes zusammenblieben.
Nachdem die Bildnissammlung Ende der 1980er Jahre unter vorrangig germanistischen Vorzeichen betrachtet und ausgestellt worden war, sollen künftig die kunsthistorischen Aspekte in den Vordergrund rücken. Im Jahr 2010 fand ein Seminar am Institut für Kunstgeschichte statt. Eine Ausstellung ist in Planung. Zur Ausstellung soll eine Publikation zu Graffs Porträtgalerie erarbeitet werden.