Nachricht vom

Das Gespräch mit Rainer Behrends führten Simone Tübbecke und Christine Hübner am 14. März 2024
Rainer Behrends war von 1971–2002 Kustos und Leiter der Kustodie | Kunstsammlung der Universität Leipzig

Wie kam es zur Idee und Organisation der Kunstaktion „Pochoir in Leipzig“?
In Köln hatte die Gruppe „Tabot Velud“ im Mai 1990 den U-Bahnhof Appellhofplatz an Pfeilern zwischen den Gleisen mit 40 gleichgroßen Tafeln des Projektes „Kölner Köpfe“ ausgestattet, geschaffen als Schablonengraffiti, sogenannten Pochoirs mit Bildnissen prominenter und unbekannter Kölner Bürger. Die Idee dahinter: nicht mehr heimlich und nachts rasch auf Wände anonym und vergänglich Motive zu sprayen, dafür in geschützter Umgebung und dauerhaft an öffentlich zugänglichen Stellen ständig zu sehen. Hingewiesen auf diese Aktion und neugierig geworden, reiste ich nach Köln, sah diese Installation, traf Hans-Peter Dürhager und Ralf Jesse, damals Studenten und Mitglieder der Vierer-gruppe, und war begeistert. Sie kamen nach Leipzig, waren sofort von der Vorstellung angetan, gemeinsam mit der Kustodie der Universität Leipzig ein ähnliches Projekt mit französischen Pochoiristen durchzuführen, unter-stützt von der Leitung der Universität. Sponsor für die Kosten würde, wie zuvor in Köln ein großer Tabak-Konzern sein. Der Künstler Jost Braun hatte die Idee, auch Leipziger Künstler zu beteiligen.

Wie entstand der Kontakt zu den französischen Sprayern?
Der Trierer Künstleragent und Galerist Christoph Maisenbacher vermittelte die Kontakte.

Wie war der Austausch zwischen den deutschen und französischen Künstlern, bestanden Sprachbarrieren?
Sicherlich, aber ich meine, bei gemeinsamer künstlerischer Arbeit sind derart Hemmnisse leicht zu überwinden, da man im selben Metier mit identischen Handgriffen tätig ist. Das geht eigentlich immer gut.

Wie lief die Kunstaktion ab ?
Vom 6. bis zum 9.September wurde intensiv tagsüber im Innenhof zwischen Haupt- und Seminargebäude am Augustusplatz gesprayt. Es entstand eine große Zahl von Tafeln in quasi öffentlicher, aber auch geschützter Situation. An den Abenden und Nächten danach wurde die Stadt zum Atelier. An Mauern, Wänden und Flächen, an freistehenden Objekten, in Tunneln u. a. wurde gesprüht und gesprüht, vergängliche Kunstwerke, éphémèr. Eine Arbeit hat sich wiedergefunden, eine Madonna von Blek le Rat. Sie wurde gesichert und bleibt erhalten. Blek le Rat (= Xavier Prou) ist heute einer der bekanntesten Pochoirkünstler, ähnlich Miss.Tic (= Radhia Novat, verstorben 2022).

Wie viele Werke sind damals entstanden ?
Entstanden sind 101 Werke, einige davon mehrteilig, insgesamt sind es 167 Platten in Formaten von 20 x 30 cm bis zu 2 x 3 Metern Größe.

Wie gelangten die Kunstwerke ins Seminargebäude ?
Die Idee war, dass fertige Platten sofort vor Ort montiert werden. Hand-werker der Uni brachten sie auf sechs Ebenen im Treppenhaus, auf Fluren und in einem großen Innenraum an der Wand an. Dabei spielte der Zufall eine große Rolle, denn es konnte kein ausgearbeitetes Hängeprojekt ver-wirklicht werden, da nicht vorhersehbar war, welche Platten wann und in welchen Größen innerhalb der drei Tage verfügbar waren; alles geschah unter großem Zeitdruck. Am 10. September war tatsächlich zur Vernissage alles montiert und es gab eine große Party.

Entstanden seither Beschädigungen an den Kunstwerken?
Die „Galerie Ephémère“ blieb im Wesentlichen, bis auf geringfügige Blessuren unbeschädigt, bis die Werke wegen des Gebäudeumbaues abgenommen werden mussten. Seither sind sie unter besten Bedingungen im Magazin eingelagert und harren ihrer Rückkehr. Der stehen
bedeutende Schwierigkeiten im Wege. Einmal ist es der enorm gestiegene Wert der Kunstwerke und dann sind es Sorgen um deren Sicherheit, zählen die Arbeiten doch europaweit zu den ersten quasi musealen Schablonengraffiti.

Gab es Ärger, als die Künstler auch in der Stadt tätig wurden ?
Nein, denn 1991 war das noch vor der unkontrollierbaren Flut von Sprayern, die jede irgendwie geeignet scheinende Fläche in Anspruch nahmen und den Unmut von Hauseigentümern wie Mietern und schließlich auch der Leipziger selbst hervorriefen, die Sache erweckte Neugier und wurde eher als Kuriosität betrachtet. Also wurde nicht sofort die Polizei geholt oder umgehend die Entfernung verlangt, Anwälte eingeschaltet und vor Gericht prozessiert – es liegt alles eben drei Jahrzehnte zurück

Mehr Informationen zur Ausstellung