Kunstwerk des Monats Juli
Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722–1789)
Selbstbildnis des Künstlers mit Schnupftabakdose
1773
Öl auf Leinwand
Kunstbesitz Universität Leipzig, Inv. Nr. 1951:231
Unser Kunstwerk des Monats Juli ist ebenfalls Teil der Freundschaftsgalerie des Leipziger Verlegers Philipp Erasmus Reich (1717–1787). Im Frühjahr 1772 berichtet Johann Heinrich Tischbein, damals Professor am Kasseler Collegium Carolinum, später ab 1777 dann Direktor der Kunstakademie in Kassel, dem Leipziger Verleger Reich, von einem Auftrag für seine Galerie. Der Göttinger Philologe Christian Gottlog Heyne (1729–1812) wolle Reich sein Porträt für die Sammlung schenken. Allerdings bezahlte Reich die Arbeit dann später selbst aus eigener Tasche. Zusammen mit Heynes Porträt lieferte Tischbein dann 1773 an den Verleger Reich auch gleich noch sein Selbstbildnis, auch für die Freundschaftsgalerie. Beide Porträts sind in der Höhe etwa ein Viertel größer als die anderen zur Freundschaftsgalerie gehörigen Kunstwerke, die alle ein einheitliches Maß haben. Das ist zunächst rätselhaft, könnte aber wohl darauf zurückzuführen sein, dass Tischbein die genauen Maße verlegt hatte. In einem Brief bat er Reich um erneute Zusendung, hielt sich aber trotzdem nicht daran.
Das Selbstbildnis Tischbeins ist ein aus leichter Unteransicht im Dreiviertelprofil nach links konzipiertes Halbfigurenporträt. Statt des üblicherweise für die Freundschaftsgalerie neutralen Hintergrundes zeigt es das räumliche Umfeld des Ateliers mit großer Staffelei und fast noch leerer Leinwand. Die Staffelei im Rücken, postiert sich der Maler hinter einer mit funkelnden Messingnägeln beschlagenen leuchtend roten Polsterlehne, welche die rechte Hälfte des Vordergrundes einnimmt. Der als Stütze darübergelegte rechte Arm überbrückt die Schranke zum Betrachter. Die Geste suggeriert eine entspannte Körperhaltung, die Hände mit sind mit einer goldenen Schnuptabakdose beschäftigt. Hier wird der Moment zwischen Abkehr von der künstlerischen Arbeit und Zuwendung an den Betrachter festgehalten. Der beobachtende Blick des Künstlers ist leicht distanziert, doch mit einem freundlich verhaltenen Lächeln.
Das Gemälde befand sich gerade in unserer Restaurierungswerkstatt. Dabei machte unsere Restauratorin, Dipl. Rest. Claudia Nicolaisen-Luckenbach, eine spannende Entdeckung! Auf der Leinwandstaffelei im Hintergrund sind ganz zart weiße Linien zu erkennen. Scheinbar hat der Künstler bereits einen ersten Entwurf für ein Gemälde angelegt. Zu sehen sind die Umrisse eines Frauen- und eines Männerkopfes. Zur besseren Sichtbarkeit haben wir die Linien abgepaust und noch einmal verstärkt (Abb. 2 unten). Und ein Kunstwerk mit diesem Motiv hat Tischbein wirklich gemalt! Bei der Sichtung verschiedener Gemälde des Künstlers stieß die Restauratorin auf das Motiv. Es handelt sich um “Die Verspottung des Anakreon” aus dem Jahr 1754. Das Gemälde befindet sich mit der Inventarnummer 1816/874 in der Gemäldegalerie Alte Meister Kassel. Uns wurde freundlicherweise eine Abbildung zur Verfügung gestellt (Abb. 3 unten).
Vielleicht könnte die Rückseite noch mehr Aufschlüsse geben, aber leider können sie nicht mehr einsehen. Das Leinwandgemälde wurde 1960 doubliert und auf einen neuen Keilrahmen umgespannt, die Rückseite nicht mehr zugänglich. Bei einer zurückliegenden Restaurierung wurden Signatur und Datierung auf der Originalrückseite jedoch vermerkt: „ J. H. Tischbein Selbst-gemahlt 1773“. Der Zierrahmen aus dem späten 18. Jh. besteht voll und ganz aus Holz, auch die schönen Eckornamente sind geschnitzt. Damit gehört der Rahmen zu der Gruppe, die 1819 mit den Gemälden aus dem Nachlass des Verlegers Reich an die Universitätsbibliothek überging. Er war Vorlage für die im 19. Jh. nachgebauten Galerierahmen für zahlreiche Gemälde in der Universitätsbibliothek, deren Ornamente nicht mehr geschnitzt, sondern statt dessen mit Abgüssen aus Gips verziert wurden.
Unsere Kunstsammlung umfasst ca. 10.000 Objekte – Gemälde, Plastik, Grafik und Kunsthandwerk vom 14. bis zum 21. Jahrhundert. Einen Teil der Kunstwerke zeigen wir dauerhaft oder temporär in Ausstellungen, andere Objekte lagern wir in unseren Depots. Die Kustodie verwaltet zudem auch alle Kunstgüter in den Einrichtungen, Fakultäten und Instituten der Universität, ob beweglich oder baugebunden. Auch das Gemälde im Büro des Professors oder ein Denkmal im öffentlichen Raum gehören beispielsweise dazu – wir verwalten den gesamten Kunstbesitz unserer Universität.
Sammlungsgebiete
Seit der Gründung unserer Universität im Jahr 1409 bilden akademische Gerätschaften den Grundstock der Kunstsammlung. Im Laufe der Jahrhunderte wuchs sie immer mehr an: durch Auftragsarbeiten für die Ausstattung von Gebäuden, durch die Übereignung von Porträts durch Professoren und Rektoren, durch Schenkungen, Vermächtnisse und Stiftungen. Diese Sammlung ist nicht planvoll angelegt, sondern historisch gewachsen.
Insignien und universitätsgeschichtliche Gegenstände
Wertvolle Insignien bilden den kostbarsten Besitz unserer Universität. Die prunkvollen goldenen Zepter oder das kunstreich gestaltete kleine Universitätsiegel zeigen wir in unserer Dauerausstellung im Rektoratsgebäude. Mit der Rektorkette kam Mitte des 19. Jahrhunderts eine neue Insignie hinzu. Zu diesem Sammlungsbereich gehören auch Fahnen, Pokale und Studentica.
Kloster und Universitätskirche St. Pauli
Nach der Reformation erhielt unsere Universität durch die Schenkung des Paulinerklosters und der Kirche einen beachtlichen Bestand an mittelalterlichen Gemälden und Plastiken. Dazu zählen neben den Fresken des Dominikanerklosters und Skulpturen aus dem Klosterbesitz, wie die des Thomas von Aquin, Dietrich von Wettin oder des Apostels Paulus, auch einige frühe Grabplatten und der Paulineraltar. Die Epitaphien der Universitätskirche St. Pauli entstanden zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert.
Porträtgalerien
Bildnisse bedeutender Persönlichkeiten der Universitätselite, berühmte Wissenschaftler und Gelehrte sind in Porträtgalerien zusammengefasst. Die Professorengalerie der Universitätsbibliothek umfasst Porträts des 16. bis 18. Jahrhunderts. Einen Großteil davon stellen wir heute im ersten Obergeschoss des Neuen Augusteums aus. Die Ordinariengalerie der Juristenfakultät überliefert nahezu vollständig Bildnisse aller juristischen Ordinarien vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Private Ursprünge hat die Freundschaftsgalerie des Leipziger Verlegers Philip Erasmus Reich mit Porträts bedeutender Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts. Wir zeigen diese fast vollständig in der Kunstsammlung im Rektoratsgebäude.
Im 19. Jahrhundert gab die Universität zur Ausstattung des neuen Hauptgebäudes repräsentative Denkmale und Büsten in Auftrag, um Personen zu ehren, die sich besondere Verdienste für die Universität erworben hatten. Ein „Büstenhain“ wird im Foyer des neuen Augusteums aufgestellt (in Planung).
Grafik
Die reichen Grafikbestände unserer Sammlung umfassen ganz unterschiedliche Konvolute. Neben der Grafiksammlung des Karl-Sudhoff-Instituts und dem zeichnerischen Nachlass von W. G. Tilesius von Tillenau (vgl. dazu unser Forschungsprojekt) sind die Handzeichnungen von B. und C. Genelli oder die Werke des Leipziger Kupferstechers Johann Friedrich Bause besonders hervorzuheben.
Kunst der DDR
Zu Zeiten der DDR förderte die „Karl-Marx-Universität“ insbesondere Ausstellungen zeitgenössischer Künstler: Neubauten sollten mit sozialistischer Kunst geschmückt werden. So entstanden Kunstwerke unter ideologischen Vorzeichen, wie das Fassaderelief „Aufbruch“ oder das Wandbild „Arbeiterklasse und Intelligenz“ von Werner Tübke. Die Kunstsammlung der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (DHfK) ging in unseren Bestand über. Darunter finden sich herausragende Kunstwerke wie der „Weitspringer“ von Willi Sitte aus dem Jahr 1976 oder das "Bildnis der Eiskunstläuferin Katharina Witt" von Heinz Wagner (1986). Auch bedeutende Werke der Leipziger Schule – von Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke, Bernhard Heisig oder Heinz Zander – gehören zu unserem Bestand. Die Universität erhielt außerdem Künstlernachlässe, zum Beispiel von H. E. Strüning und Rudolf Oelzner.